Gießener Anzeiger, 06. November 2024
Zeit für offene Fragen
Kritiker der Lindener Schnellbuslinie hoffen im Bauausschuss auf Antworten
Linden (twi). Von Linden bis ins Zentrum Gießens in 19 Minuten, das hört sich gut an. Es soll ab Dezember mit einer Schnellbuslinie realisiert werden. Bisher muss das Doppelte an Fahrzeit eingeplant werden, hatte Bürgermeister Fabian Wedemann (CDU) im September während einer Anwohnerversammlung erklärt. Die wurde erforderlich, weil zwei zusätzlich Haltestellen geschaffen werden müssen. Die eine ist in der hochfrequentierten Alten Heerstraße in Großen-Linden auf der Seite einer Fahrschule und die andere in der Gießener Straße vorgesehen.
Die Anwohnerin Susanne Kutscher, die in der Durchgangsstraße in Großen-Linden einen Laden betreibt, und Lothar Röhn machte das Ganze stutzig. Sie beschäftigten sich daraufhin intensiver mit dem öffentlichen Nahverkehr in Linden. Und meinen auch, dass der eingesetzte Ziehharmonikabus ab Dezember am neuen Halt die enge Ortsdurchfahrt blockieren werde. Bei über 8000 Fahrzeugbewegungen täglich noch eine weitere Belastung der Anwohner.
Verschwendung von 1,24 Millionen Euro?
Beide schauten sich auch die gesamten Fahrtenpaare genauer an und meinten jetzt, dass die Kosten für acht Jahre Zusatzbusverkehr von 1,24 Millionen Euro gesamt für die Stadt eine Verschwendung seien. Ganz besonders vor dem Hintergrund, dass der Stadt Linden wohl ganz aktuell vom Verkehrsverbund RMV bereits angeboten worden sei, zusätzliche Fahrtenpaare zu realisieren. So habe man Zeitungsberichte verstanden.
Und die 20 Minuten Ersparnis an Fahrzeit sei nur realisierbar, wenn der Fahrgast Höhe Abzweig Bergstraße in Großen-Linden einsteige. Im Mittel seien es nur elf Minuten. Vom Forst aus gesehen, mache der zusätzliche Einstieg in der Gießener Straße gar keinen Sinn, weil es keinen zeitlichen Unterschied gebe.
Da viele Fragen offen blieben, wurde die Anfangszeit des Bauausschusses am heutigen Mittwoch vorgezogen. Die Sitzung findet ab 18.15 Uhr im Sitzungssaal der Lindener Ratsstuben statt.
Kutscher verwundert, dass es seitens der Stadt so wenig Hintergrundinformationen zum Thema gibt, obwohl die Lindener das Projekt 1,24 Millionen Euro kosten werde. Bei der Bürgerfragestunde vor der Stadtverordnetensitzung im September gab es jedenfalls mehr un- als beantwortete Fragen. Erstmals hatten Bürger dieses noch recht junge Frageinstrument genutzt. Stadtverordnetenvorsteher Axel P. Globuschütz (Grüne) verwies sie dann an den Bauausschuss.
Hier war das Thema im vergangenen Jahr allerdings nie behandelt worden, weil SPD Fraktionsvorsitzende Gudrun Lang den Antrag ihrer Fraktion gleich direkt ohne weitere Beratung mit mehrheitlichem Konsens abstimmen ließ und diesem Antrag außer der FW Fraktion alle zustimmten. Linden verfügt aktuell bereits über täglich 60 Bus- und zudem noch 38 Zugverbindungen nach Gießen, fanden die Kritiker heraus und fragen sich, warum ein Schnellbus noch benötigt werde. 8211 Fahrzeuge, davon 7200 Pkw, 764 Sprinter, 165 Lkw, 37 Motorräder und 38 Fahrräder, davon einige auf dem Gehweg, und sieben Busse zählten Anwohner der Alten Heerstraße allein am 9. September an Verkehr.
Zwischenzeitlich wurden den betroffenen Anwohnern ein von Lang unterzeichnetes klarstellend gemeintes Schreiben der Fraktionen SPD, CDU, Grüne und FDP übermittelt. Lang unterstreicht hier, dass »die Entscheidung zur Investition in ein besseres Angebot auf den Linien 378/379 keinesfalls leichtfertig unter Zeitdruck oder gar in Eile erfolgt« sei. Der Arbeitskreises ÖPNV habe 2022/2023 Varianten entwickelt und eine Kosten-Nutzen-Entscheidung getroffen. »Der Schnellbus verbesserte das Angebot quantitativ mit mehr Fahrten und qualitativ mit schnelleren Verbindungen von und nach Gießen. Er schließt zusätzlich Lücken im derzeitigen Angebot«, heißt es.
Die von den Beschwerdeführern monierten elf Minuten Zeitersparnis will Lang so nicht gelten lassen, das höre sich »erstmal nicht viel an, aber in Relation zu der bisherigen Fahrzeit, die immer in der Kritik stand, ist das schon erheblich, wenn man bedenkt, dass dies einer Einsparung von teilweise über 30 Prozent gegenüber dem Status Quo entspricht. Natürlich ist der Weg zu den Haltestellen ein Faktor, jedoch ist die Fahrzeit damit dem eines Pkw vergleichbar und dieser muss in Gießen auch noch einen Parkplatz finden «, so Lang.
Jene elf Minuten seien aktuell illusorisch, da die Ausweitung von Tempo 30 und längere Ampelschaltungen mit noch längeren Wartezeiten in Gießen vorangetrieben würden, entgegnen die Kritiker. Lang spricht von einer »verbesserten Anbindung gerade über das ÖPNV-Kreuz Gießen Berliner Platz als deutlichen Mehrwert des Schnellbusses. Des Weiteren stärke er das Lindener Gewerbegebiet mit einer deutlich besseren Anbindung. Der Schnellbus werde die Hauptstraßen insgesamt von montags bis freitags lediglich 17 Mal am Tag durchfahren.
»Konkreter Bedarf nicht zu beziffern«
Lang räumt allerdings auch ein, »ein konkreter Bedarf, gemessen an Zahlen für ein neues Angebot, dass es in dieser Form noch nicht gegeben hat, ist nicht zu beziffern. Jedoch wurde uns von fachlicher Seite Potenzial bestätigt und Rückmeldungen zum neuen Angebot lassen auch erwarten, dass dies gut angenommen werden wird.« Susanne Kutscher spricht dagegen enttäuscht von »Schönrednerei«.